Speicherung von CO₂ in Beton: Viel Potenzial, aber auch hohe Hürden

Zementwerke gehören zu den grossen Treibhausgasemittenten. Wenn das CO2 der Atmosphäre entzogen und dauerhaft in Abbruchbeton eingebunden würde, könnte der Baustoff aber auch einen Beitrag zu den Klimazielen leisten.

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Weisser Betnonmischer-Lkw auf einer Landstrasse

Die Verfahren zur Entnahme von CO2 aus der Luft und zur Speicherung in Beton funktionieren. Das ist heute klar. Einer Umsetzung im grossen Stil stehen aber noch einige Hürden im Weg. An deren Beseitigung wird auch in der Schweiz intensiv geforscht und gearbeitet.

Warum wir CO2 einlagern müssen

Wenn wir den Klimazielen näher kommen wollen, führt kein Weg an einer drastischen Senkung des Treibhausgasausstosses vorbei. Ohne energieeffizientere Geräte und bewussteres Verhalten, ohne Wechsel auf Elektroautos und Wärmepumpen wird es also nicht gehen. Das ist den meisten Menschen in der Schweiz bewusst.

Viele CO2-Emissionen fallen auch künftig weiter an.

Weniger bekannt ist: Auch all diese Massnahmen werden nicht ausreichen, um Netto-Null bis 2050 zu erreichen. Denn viele Emissionen fallen auch künftig weiter an: in der Landwirtschaft etwa, in der Abfallverbrennung oder in der Zementproduktion. Es braucht deshalb auch ein breites Spektrum von Strategien, um das ausgestossene CO2 der Atmosphäre wieder zu entziehen und dauerhaft zu speichern oder neuen Nutzungen zuzuführen.

Manche Strategien sind uns bereits wohlvertraut: Bäume üben sich seit Jahrmillionen darin, Kohlendioxid in ihren Blättern, Ästen und Wurzeln dauerhaft zu speichern. Für CO2-Bindung im grossen Stil braucht es aber mehr als eine optimierte Waldbewirtschaftung und eine grössere Nachfrage nach Schweizer Holz. Es sind auch neue technische Lösungen gefragt. Die Schweiz steht bei der Entwicklung der sogenannten Negativemissionstechnologien an vorderster Front.

Zementwerke gehören zu den grossen Treibhausgasemittenten

Der Bausektor gehört zu den grossen Treibhausgasemittenten in der Schweiz. Ganz besonders gilt das für die Zementherstellung. Gut fünf Prozent der hiesigen CO2-Emissionen werden gemäss Bundesamt für Umwelt BAFU von den sechs Zementwerken hierzulande verursacht.

Beton dürfte aber vorläufig weiter in grossem Stil verbaut werden, besonders beim Bau von Fundamenten und Untergeschossen bleibt er unverzichtbar. Gerade weil er in so grosser Menge produziert und verwendet wird, eignet sich der Baustoff theoretisch aber auch gut als Speichermedium: Wenn es gelingt, CO2 aus der Atmosphäre in grossem Stil in Beton einzulagern, können Treibhausgasemissionen kompensiert oder sogar Negativemissionen erreicht werden.

CO2-angereicherter Recyclingbeton

Verschiedenes Gestein kann Kohlendioxid aus der Luft auch natürlich binden, wenn es verwittert – vulkanisches Gestein etwa, oder auch menschgemachte Betonbauten. Karbonatisierung oder Mineralisierung nennt man dies, wenn CO2 mit Calciumhydroxid reagiert und zu Kalkstein versteinert. «Auf natürliche Weise verläuft dieser Prozess jedoch sehr langsam und das Gestein ist dem Kohlendioxid nur in äusserst geringer Konzentration ausgesetzt», erklärt Elmar Vatter, der Projektleiter Marketing und Kommunikation der Berner Firma Neustark. Das 2019 als Spin-off der ETH Zürich entstandene Unternehmen hat deshalb ein Verfahren entwickelt, mit dem sich dieser Prozess beschleunigen und intensivieren lässt. Heute ist Neustark der grösste Betrieb in der Schweiz, der sich auf die Einlagerung von CO2 in Beton konzentriert.

Vulkanisches Gestein kann CO2 aus der Luft von Natur aus binden – aber auch Beton kann das.

Das Verfahren geht so: Als Erstes wird Abbruchbeton zu Granulat zerkleinert und in einer von Neustark entwickelten Anlage mit Kohlendioxid begast. Das CO2 reagiert mit den Zementresten im Abbruchmaterial und wird zu Kalkstein. Das angereicherte Material wird dann als Ersatz für Kies bei der Herstellung von Recyclingbeton eingesetzt. «Dieser Prozess lässt sich theoretisch beliebig oft wiederholen», sagt Vatter. Im besten Fall kann das Kohlendioxid so für unbegrenzte Zeit in Gebäuden und Baustoffen gespeichert werden. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des CO2-angereicherten Granulats: Es kann auch als «Koffermaterial» für die Frostschutz- oder Schottertragschicht im Strassenbau eingesetzt werden.

Neustark führt Abbruchbeton und Kohlenstoffdioxid aus Biogasanlagen zusammen. (Grafik: Neustark)

Negativemissionen

Neustark verkauft sowohl die Anlagen zur CO2-Anreicherung des Granulats wie auch das dafür notwendige Kohlendioxid. Bei letzterem setzt die Berner Firma ausschliesslich auf CO2, das in Abwasserreinigungsanlagen beziehungsweise bei der Erzeugung von Biogas anfällt.

Auf diese Weise lassen sich sogar Negativemissionen erreichen. Denn: Bei der Vergärung von Grünresten und Lebensmittelabfällen entweicht normalerweise genau so viel Kohlendioxid wieder in die Luft, wie die Pflanzen einst im Wachstum aufgenommen haben. Wird das CO2 nun gleich am Kamin abgeschieden und gelangt gar nicht erst in die Atmosphäre, fällt die Rechnung unter dem Strich negativ aus.

Schon nach zwei Stunden ist die Mineralisierung des Kohlendioxids zu rund 80 Prozent abgeschlossen.

Für das neue Verfahren sprechen laut Neustark aber auch noch mehr Gründe. So benötigt der Anreicherungsprozess nur sehr wenig Zeit: Schon nach zwei Stunden ist die Mineralisierung des Kohlendioxids normalerweise zu rund 80 Prozent abgeschlossen. Ausserdem liessen sich die notwendigen Anlagen leicht in bestehenden Betonwerken nachrüsten, sagt Vatter. Und nicht zuletzt unterscheide sich der klimafreundlichere Recyclingbeton in seinen Eigenschaften kaum von der herkömmlichen Variante. «Das CO2-angereicherte Granulat weist sogar eine etwas höhere Druckfestigkeit auf als herkömmliches Granulat.»

Für eine spürbare Klimawirkung müssen CO2-Anteil und Nachfrage steigen

Gleichzeitig müssen aber auch noch einige Hürden gemeistert werden, bis sich das Potenzial eines solchen klimafreundlicheren Recyclingbetons voll ausschöpfen lässt:

Nur ein Bruchteil des Betons in der Schweiz ist heute mit CO2 angereichert

Am verbauten Beton in der Schweiz hat Recyclingbeton heute einen Anteil von 15 Prozent. «Und davon ist erst ein Bruchteil mit CO2 angereichert», sagt Vatter. Auch wenn dessen Anwendung – Stichwort Kreislaufwirtschaft – in Zukunft sicher weiter zunehmen dürfte: Grossmehrheitlich wird noch mit Primärbeton gebaut. Eine Rolle spielen dabei laut Vatter auch die bestehenden Normen beziehungsweise die noch geringe Erfahrung mit Recyclingbeton: So dürfe dieser beim Tunnel- oder Brückenbau im Moment nicht eingesetzt werden.

Grösserer Anteil von CO2 pro Tonne Recyclingbeton nötig

Mit dem Anreicherungsverfahren von Neustark werden durchschnittlich 10 Kilogramm CO2 in 1 Tonne Recyclingbeton gespeichert. Auch wenn aus technischer Sicht das Fünffache möglich wäre, wie Vatter sagt. «Praktisch stehen einer höheren Konzentration des Kohlendioxids einige Hindernisse im Weg.» So würde kleineres Granulat mehr Oberfläche bieten, um CO2 zu binden. «Doch sind sehr kleine Korngrössen nicht in allen Ländern zur Wiederverwendung zugelassen.» Zu bedenken gelte es aber auch: Würde man den Abbruchbeton ausschliesslich in sehr kleine Korngrössen brechen wollen, müsste man dafür auch mehr Energie aufwenden.

Zusammensetzung von Beton
Bestandteil Massenanteil pro Tonne Beton
Sand und Kies 13/16 812,5 kg
Zement 2/16 125,0 kg
Wasser 1/16 62,5 kg
Quelle: betonsuisse.ch

Eine andere Möglichkeit wäre, das Abbruchmaterial vor der Anreicherung zu trocknen, erklärt Vatter. Auch so liesse sich der Anteil des CO2 pro Kubikmeter Recyclingbeton erhöhen. Jeder zusätzliche Verfahrensschritt bedeute für die Hersteller des Recyclingbetons aber auch mehr Aufwand und höhere Kosten. «Es schwingt deshalb immer die Frage der Wirtschaftlichkeit mit.»

Kosten hängen von verschiedenen Faktoren ab

Der Preis von Recyclingbeton hängt laut Vatter von verschiedenen Faktoren wie etwa der Distanz zum Abbruchmaterial ab. Gewöhnlicher Recyclingbeton sei in der Regel aber in etwa gleich teuer wie Primärbeton, manchmal sogar etwas günstiger. Für die Anreicherung ihres Materials mit CO2 beziehungsweise die damit erreichten Negativemissionen können die Recyclingproduzenten rückvergütet werden. Neustark stellt CO2-Zertifikate aus, die es auf dem freiwilligen Zertifikatemarkt veräussert. «In diesem Fall kostet der klimafreundlichere Recyclingbeton nicht mehr als herkömmliches Material.»

Die Zertifikate würden heute vor allem von Grossunternehmen wie Microsoft oder hiesigen Banken wie der ZKB gekauft, fügt Vatter an. «Der Betonhersteller kann das Zertifikat aber natürlich auch selbst zusammen mit dem Baustoff verkaufen.» Der Bauherr zahle dann den Mehrpreis, dürfe sich den Klimanutzen aber für sein Gebäude anrechnen lassen. Die Rückvergütung für den Speicherpartner falle in diesem Fall natürlich weg.